Was der Markt nicht regelt

 

 

Mit Innovationen und grünem Wachstum unser Klima retten: Das klingt wie Musik in den Ohren der Wähler:innen. Doch wer allein auf Erfindergeist und marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb setzt, springt zu kurz.

Die Wahlprogramme glänzen beim Klimaschutz vor allem durch fehlende Details und Konkretisierungen. (Das Politik-Team des WWF äußert sich in Gänze dazu im Zukunftswahlcheck.) Ziele sind zu finden, aber wie kommen wir hin? Das ist zum Teil auch Ausdruck einer ökonomischen Philosophie: Der Staat soll nicht lenken, sondern allenfalls Ziele vorgeben und mit klugen Anreizen für den nötigen Schub sorgen. Den Rest regelt dann der Markt – sprich: der Innovationswettbewerb der Unternehmen.

Innovationen und neue Technologien, Kreativität und Wettbewerb, geistige Hochleistungen von Ingenieur:innen, Techniker:innen sowie Wissenschaftler:innen sollen also den Weg zum Ziel ebnen.

Das klingt gut, und richtig ist: Lösungen von Elektro-Lastwagen bis hin zu neuen Futtermitteln in der Landwirtschaft sind zentrale Pfeiler auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Wer allein auf den marktwirtschaftlichen Wettbewerb und die Innovationskraft der Unternehmen setzt, springt jedoch zu kurz – und zwar aus zwei Gründen.

Tipping points rücken näher

Erstens: der Zeitfaktor. Ideen entstehen nicht auf Knopfdruck, kreative Prozesse und deren Umsetzungen brauchen Zeit. Und genau die fehlt. Denn die Kipppunkte („tipping points“), deren Erreichen irreversible Veränderungen wie das Auftauen der Permafrostböden zur Folge hat, rücken unerbittlich näher.

Wir brauchen deshalb vordringlich Lösungen, die kurzfristig wirken. Dazu gehört eine Kohlendioxid-Steuer, der selbst Kritiker eine sofortige „Lenkungswirkung“ attestieren – ganz im Sinne des indischen Wirtschaftswissenschaftlers Partha Dasgupta, der fordert, der Natur einen „ökonomischen Wert“ zu geben. Laut aktueller Rechtslage steigt der Preis von derzeit 25 auf 55 Euro im Jahr 2025. Das ist zu wenig, zu spät.

FSC-Logo auf Holzstämmen © N.C. Turner / WWF

Zweitens: die Wirtschaft. Zahlreiche Gespräche im Rahmen des „Pathways-to-Paris“-Projektes haben gezeigt: Unternehmen sehnen sich in der Klimapolitik nach Planbarkeit und Verlässlichkeit. So wollen sie wissen, wie viel Treibhausgas-Emissionen künftig kosten, damit sie langfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen vornehmen und Investitionsbudgets aufstellen können. Und sie brauchen Klarheit, welche Technologien im politischen Rahmenwerk den Vorzug erhalten, wie es mit Ausgleichsmechanismen an den Grenzen steht und welche Subventionen ab- oder umgebaut werden?

Doch bei einigen Modellen hapert es an der gewünschten Planbarkeit: Einzig eine jährlich sinkende Obergrenze für Treibhausgas-Emissionen festlegen, doch den Preis für CO2-Zertifikate dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen – damit ginge ein hohes Maß an Unsicherheit einher. Das mögen Entscheider:innen in der Wirtschaft nicht.

Viele von ihnen haben weniger Probleme mit strenger Regulierung, als manche Ökonomen und Politiker in ihren Elfenbeintürmen vermuten. Die nächste Bundesregierung wird diese Antworten bald liefern müssen: Denn wer – möglichst früh – die schmerzhafte Wahrheit erfährt, kann sich darauf einstellen, statt im Ungewissen zu planen (und fürchten zu müssen, dass es irgendwann doch noch zu überraschenden Erhöhungen kommt).

Unzureichende Pläne zum Klimaschutz

Doch vor klaren Ansagen scheuen weite Teile der Politik zurück. „Die demokratischen Parteien des Bundestags haben fast durchgängig unzureichende Pläne und Strategien für den Klimaschutz“, lautet das Fazit des WWF-Zukunftswahlchecks.

Immerhin finden sich in den Programmen einige gute Vorschläge, die sich in Koalitionsverhandlungen zu einem „best-of“ kombinieren ließen. So könnte ein kluges Zusammenspiel von CO2-Preisen und CO2-Deckel das Beste aus beiden Welten zusammenbringen: eine schnelle Lenkungswirkung und stärkere Innovationsanreize.

Dabei sollte jedoch allen klar sein: Ein höherer CO2-Preis wird zwar manches umstrittene Verbot überflüssig machen, weil sich Klimasünden nicht mehr rechnen. Das gilt insbesondere, wenn großzügige Förderungen hinkommen, etwa für Cleantech-Investitionen oder energetische Sanierungen.

Ganz ohne Regulierung wird es nicht gehen, wenn beim Klimaschutz die notwendige Dynamik entstehen soll. Denn vorgeschriebene Veränderung hat einen Vorteil, der derzeit täglich an Relevanz gewinnt:  Sie wirkt sofort. Und der Bericht des Weltklimarats Anfang August hat eindrucksvoll untermauert, wie (überlebens-)wichtig schnelle Effekte sind.