CO2-Kreislaufwirtschaft: Chancen und Herausforderungen
Auch moderne Anlagen setzen bisweilen noch Kohlendioxid frei. Unternehmen arbeiten deshalb an innovativen Konzepten zur Resteverwertung – zum Beispiel durch Kooperationen zwischen Baustoff- und Chemieindustrie.
Bauen ist für viele Menschen die Erfüllung eines Lebenstraumes, aber zugleich eine Hypothek für künftige Generationen. Denn die Baustoff-Industrie gehört zu den größten Klimasündern: Rund acht Prozent der globalen Treibausgas-Emissionen entfallen auf die Zement- und Betonproduktion (siehe dazu diese WWF-Analyse).
Das Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung ist deshalb ein klassisches Beispiel für die Kollision sozialer und ökologischer Ziele: Mehr Wohnraum ist von zentraler Bedeutung für bezahlbare Mieten, beschleunigt aber zugleich die Erwärmung.
Immerhin: Die Baustoff-Branche hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Effizientere Öfen, bessere Filteranlagen und alternative Energiequellen haben Emissionen deutlich gesenkt. Doch dieses Potenzial ist begrenzt. Denn ein großer Teil des Kohlendioxids entsteht durch chemische Prozesse beim Brennen von Zementklinkern – und dieser Teil lässt sich nicht vermeiden.
Also künftig zement- bzw. betonfrei bauen? In der Tat setzen Bauherren verstärkt auf alternative Baustoffe wie Holz. Zudem arbeiten Wissenschaftler:innen an klimafreundlichem Zementersatz, etwa in Form sogenannter Geopolymere. Aber noch haben sich Alternativen nicht durchgesetzt.
Recyceln statt (end-)lagern
Deshalb rückt die Frage in den Fokus, wie sich verhindern lässt, dass das Rest-CO2 in die Atmosphäre entweicht. Und da die Absonderung und Lagerung (Carbon Capture and Storage, CCS) rechtlich heikel und risikobehaftet ist, beginnen immer mehr Unternehmen auf Recycling zu setzen: Sie wollen verbleibendes Kohlendioxid für andere Industrieprozesse nutzen (Carbon Capture and Utilization, CCU).
Das klingt nach einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Es entstünde eine Kreislaufwirtschaft mit neuer Wertschöpfung. Erfolgreiche Beispiele für solche Industriesymbiosen gibt es bereits. Im dänischen Kalundborg versorgen sich elf Unternehmen aus verschiedenen Branchen gegenseitig mit Abfallprodukten ihrer Prozesse. So wird das Abwasser einer Raffinerie in einem benachbarten Kraftwerk eingesetzt, unter anderem zum Kühlen.
Mit Blick auf CCU lautet das Ziel, dass beim Einsatz des gespeicherten Kohlenstoffs kein zusätzliches Treibhausgas entweicht. Genau das passiert zum Beispiel, wenn Unternehmen daraus Treibstoffe wie Kerosin oder Diesel herstellen: Bei deren Gebrauch entstehen neue Gase; von einem geschlossenen Kohlenstoff-Kreislauf kann keine Rede sein. Der Lebenszyklus des Endproduktes ist einer der entscheidenden Faktoren.
Ameisensäure aus Kohlendioxid
Wohin also mit dem restlichen CO2, das bei der Zementproduktion entsteht? Zu den potenziellen Abnehmern zählt zunächst die Branche selbst: Das Gas kann Bestandteil innovativer Baustoffe werden. So arbeiten Forscher an Calciumcarbonat-Beton, der aus Abfallbeton und Kohlendioxid besteht. Und der bayrische Zementhersteller Rohrdorfer hat gerade mit dem Entsorgungsunternehmen Zosseder ein Pilotprojekt gestartet, bei dem speziell aufbereiteter Altbetonbruch genutzt wird.
Als besonders interessanter Partner gilt zudem die Chemie- und Kunststoffindustrie. Denn für Silikone, PVC und etliche andere Produkte brauchen Unternehmen große Mengen Kohlendioxid. Rohrdorfer hat deshalb in diesem Jahr ein weiteres Projekt gestartet: Das Unternehmen baut derzeit eine CO2-Abscheideanlage für die Zementproduktion, die bereits im Sommer in Betrieb gehen soll.
Mit dem Kohlenstoff will das Rohrdorfer dann Ameisensäure produzieren und an Chemiewerke in der Region liefern. Ameisensäure dient als Basis für Produkte wie Reinigungs-, Desinfektions- oder Enteisungsmittel.
Kohlenstoff macht Erdöl obsolet
„Wir müssen beginnen, Kohlendioxid als Wertstoff statt als Problemstoff zu sehen“, sagt Helmut Leibinger, Leiter Anlagen- und Verfahrenstechnik bei Rohrdorfer. Kohlenstoff könne zu Methanol, Ethylen oder Ameisensäure und damit Ausgangsstoff für viele Produkte werden, „die heute auf Erdölbasis hergestellt werden“.
Für einen echten Kohlenstoffkreislauf ohne zusätzliche Emissionen sind allerdings einige Hürden zu überwinden. So ist das Abschöpfen mühsam und energieintensiv. Die bisher größte Anlage steht in Helsinki, sie fängt derzeit jährlich „nur“ 4.000 Tonnen CO2 ab.
- Erstens: Zementhersteller müssen Anlagen, in denen Kohlendioxid freigesetzt, abgeschieden und verarbeitet wird, mit erneuerbaren Energien betreiben. Das ist eine große Herausforderung: Auch Abscheiden und Verdichten bzw. Verflüssigen von CO2 ist sehr energieintensiv.
Zweitens: Ähnlich wichtig ist der Transport. Rohrdorfer setzt verstärkt auf , die mit grünem Strom fahren – und auf kurze Wege durch Partnerschaften in der Region. Allerdings sei es derzeit noch verboten, Kohlendioxid für CCU-Projekte per Pipeline zu transportieren, sagt Leibinger. Wichtig sei deshalb neue rechtliche Rahmenbedingungen und staatliche Infrastruktur-Investitionen.
Drittens: Empfänger müssen Anlagen, mit denen sie den abgeschiedenen Kohlenstoff verarbeiten, ebenfalls mit erneuerbaren Energien betreiben. Zudem gilt: Je länger der Stoff gebunden bleibt, desto besser fürs Klima. Besonders geeignet, so Leibinger, seien deshalb (möglichst häufig) recycelbare Kunststoffe mit möglichst langer Lebensdauer.
Gebäude und Alltagsgegenstände als Lagerstätten für unvermeidbare CO2-Restemissionen: Das könnte schon bald Realität sein – wenn die Politik die richtigen Weichen stellt und die Wirtschaft entschlossen investiert.