Unternehmerische Klimaziele mit der SBTi
Das Ziel ist klar: Wenn wir die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise abwenden wollen, müssen wir den Temperaturanstieg auf 1,5°C begrenzen und ab Mitte dieses Jahrhunderts netto keine THG-Emissionen mehr ausstoßen – also knappe CO2-Senken mit eingerechnet. Gegenwärtig aber liegt die Erreichung dieses Ziels immer noch in weiter Ferne. Das liegt einerseits an den teils unzureichenden Klimazielen der Länder. Das liegt aber auch daran, dass sich Unternehmen immer noch zu zaghaft transformieren.
Die meisten Unternehmen sehen sich dem Pariser Klimaabkommen durchaus verpflichtet. Viele von ihnen verfolgen seit Jahren eigene Klimaschutzziele, immer mehr verkünden allgemeine Versprechen zur „Klimaneutralität“. Aber nur wenige stellen sich die Frage, was eigentlich nötig wäre, um einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten? Emissionen müssen sinken – aber in welchen Bereichen, wie schnell und wie viel? In einem unübersichtlichen Meer aus Ansätzen und Initiativen, etabliert sich die Science Based Targets Initiative (SBTi) zunehmend als Orientierung gebender „Fels in der Brandung“. Mit ihr können Unternehmen die richtigen Klimaziele setzen – wissenschaftsbasiert – und so ihre Klimastrategien auf feste Füße stellen.
Wie ist die Lage bei deutschen Unternehmen?
Ein Blick auf die Website der SBTi verrät, dass sich weltweit mittlerweile über 3.000 Unternehmen zu wissenschaftsbasierten Klimazielen verpflichtet haben. Zusammen decken sie in etwa ein Drittel der globalen Marktkapitalisierung ab. Und die Anzahl der Unterzeichner wächst – im vergangenen Jahr sogar exponentiell. Der aktuelle Fortschrittsbericht offenbart aber auch: Im Vergleich zu ihren französischen, dänischen oder schweizerischen Counterparts, sind deutsche Unternehmen bislang beim Setzen von wissenschaftsbasierten Klimazielen wesentlich zurückhaltender. Auch manche Branchen (z.B. Automobil, Bergbau & Chemie) bleiben bislang weit hinter ihrem Potential zurück. Warum?
Einen Einblick bietet eine Umfrage unter deutschen Unternehmen zu den Motiven für das (Nicht-)Setzen von Klimazielen, die im Rahmen des Projektes Pathways to Paris Ende letzten Jahres durchgeführt wurde. Demnach haben sich zwar schon 73% der befragten Unternehmen ein Klimaziel gesetzt, weitere 19% sind gerade dabei. Aber der Anteil derer, die ein solches Klimaziel wissenschaftsbasiert definieren und von der SBTi validieren lassen, ist gering. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen scheinen dafür die personellen und finanziellen Ressourcen zu fehlen und damit auch das Wissen und die Erfahrungen im schrittweisen Design Paris-kompatibler Klimastrategien. Großen Unternehmen wiederum, die hierfür meist auf ein umfassendes Emissionsreporting aufbauen können, halten sich aufgrund technologischer und regulatorischer Unsicherheiten zurück.
Immerhin: Die allermeisten Unternehmen in Deutschland haben mittlerweile erkannt, dass ambitionierter Klimaschutz mehr ist als Ökostrom zu beziehen oder Flächen per Kompensation aufzuforsten. Er ist ein wesentlicher Bestandteil zum Erhalt der eigenen Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit.
Nur über wissenschaftsbasierte Klimaziele in eine klimaneutrale Zukunft
Wissenschaftsbasierte Klimaziele sind kein Ersatz für umfassende Klimastrategien oder die sukzessive Transformation von Unternehmen. Aber sie sind ihre Eckpfeiler und werden als solche von Stakeholdern zunehmend erkannt und gefordert.
Sie helfen die klaffende Ambitionslücke zur Einhaltung des Pariser 1,5°C-Limits zu schließen, die traditionelle Klimaziele von Ländern und Unternehmen hinterlassen. Sie bereiten Unternehmen auf das vor, was perspektivisch vom Gesetzgeber an sie weitergegeben werden wird, aber auch auf das was, von anderen Stakeholdern zunehmend eingefordert wird. In manch tiefen Wertschöpfungsketten reicht es aus, wenn zwei, drei große Player wissenschaftsbasierte Klimaziele verfolgen und damit die gesamte Lieferkette in Zugzwang bringen. Wie das aussehen kann, demonstriert gerade der deutsche (Lebensmittel-)Einzelhandel. Aber auch Investoren und Kreditgeber setzen zunehmend auf SBTi-validierte Klimaziele als Indikator für einen seriösen Umgang mit Risiken und Chancen der Klimakrise. Die laufenden Prozesse im Umfeld von EU-weiten Reportingrichtlinien, wie z.B. der CSRD, werden dies noch stärken. Insofern sind wissenschaftsbasierte Klimaziele nicht nur eine Investition in die eigene Reputation. Sie sind zu einem Großteil auch notwendige Vorbereitung auf das, was ohnehin kommt.
Jenseits der Compliance können SBTs aber auch ein Innovationsmotor sein und in Unternehmen bewusst als solcher eingesetzt werden. Das beträchtliche Ambitionsniveau – bei der SBTi liegt die lineare jährliche Rate zur absoluten Reduktion von THG-Emissionen bei 4,2% – zwingt Unternehmen zum „outside the box“ Denken. Weil sich solche Ziele oft nicht allein über Einsparungen und Effizienzmaßnahmen erreichen lassen, müssen alte Gewohnheiten und Gewissheiten hinterfragt werden.
Die ersten Schritte mit der SBTi
Um Unternehmen zu befähigen, sich möglichst selbstständig Klimaziele zu setzen, bietet die SBTi umfangreiche Materialien, Beispiele und FAQs. Wie jeder Standard, haben auch diese Kriterien und Spielregeln ihre „Untiefen“, die es zu umschiffen gilt. Im Grunde aber ist es ganz simpel: Unternehmen setzen sich Ziele, die in ihrem Ambitionsniveau dem entsprechen, was aus aktuell klimawissenschaftlicher Sicht geboten ist, um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu beschränken. Dieser „top down“-Ansatz unterscheidet sich grundsätzlich von der Potential-basierten Perspektive der Mehrheit aktueller Klimaziele in deutschen Unternehmen.
Wählen können Unternehmen dabei zwischen mittelfristigen oder mittel- und langfristigen Klimazielen. Mittelfristige SBTs sind auf fünf bis zehn Jahre ausgelegt. Es geht darum, THG-Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren und bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Langfristig sollten Unternehmen dann den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis zur Mitte des Jahrhunderts auf nahezu null runterfahren. Der Netto-Null (Net-Zero) Standard der SBTi sieht vor, alle THG-Emissionen bis 2050 um mindestens 90% zu reduzieren und die dann noch verbleibenden 10% dauerhaft zu neutralisieren. Dies gilt für alle THG-Emissionen eines Unternehmens, auch für die in seiner Wertschöpfungskette (Scope 3). Alle von der SBTi geprüften Klimaziele sind Reduktionsziele – eine Anrechnung von Kompensation ist nicht möglich. Ein wichtiges Qualitätskriterium, das die SBTi von vermeintlich alternativen Initiativen absetzt.
Startpunkt der Zielentwicklung ist der „Commitment Letter“. Mit diesem formellen Bekenntnis treten Unternehmen der Initiative bei, werden auf der Website gelistet und beginnen den Prozess der Zielentwicklung. Sobald sich ein Unternehmen über Zielformat und -formulierung im Klaren ist, legt es dies der SBTi zur offiziellen Plausibilitätsprüfung (Validation) vor. Sind alle Fragen geklärt, kann das Ziel öffentlich kommuniziert werden. Den Fortschritt bei der Reduktion von Treibhausgasen muss das Unternehmen dann jährlich dokumentieren und darüber berichten. Grundlage all dessen ist die Verfügbarkeit und Aktualisierung eines nach Maßgabe des Greenhouse Gas Protokolls erstellen THG-Inventars, das auch die Emissionen der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette zumindest einer Überprüfung unterzieht.
Da, wie in der Umfrage im Rahmen des Pathways to Paris-Projekts bestätigt, insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen klimastrategische Ressourcen, Kapazitäten und Erfahrungen fehlen, hat die SBTi einen gesonderten KMU-Pfad aufgelegt. Dieser soll es Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeiter:innen ermöglichen, auf vereinfachter Basis mittel- und langfristige Klimaziele zu setzen.
Fazit
Wissenschaftsbasierte Klimaziele sind noch keine Transformation. Aber sie sind die Eckpfeiler für effektive und glaubwürdige Klimastrategien. Sie helfen, die richtige Frage zu stellen – nicht „Was ist möglich?“, sondern „Wie machen wir das Nötige möglich?“ – und Unternehmen fit für die klimaneutrale Wirtschaft zu machen.
Die Science Based Targets Initiative bietet hierfür umfassende Orientierungshilfe. Sie übersetzt kontinuierlich klimawissenschaftliche Erkenntnisse in nahezu maßgeschneiderte Klimaziele und Transformationspfade und setzt den Fokus auf schnelle, kontinuierliche und weitreichende Emissionsreduktion. Damit hebt sie sich von anderen, oft allzu inhaltsleeren Initiativen und Versprechungen ab. Unternehmen sollten dies auch tun – und mit wissenschaftsbasierten Klimazielen starten.